Wo de Tied vergeiht – Vom Vergehen der Zeit
EINE PRODUKTION DES STADT:ENSEMBLES
»Was bedeutet das Vergehen der Zeit?« – Mit dieser Frage setzt sich das Stadt:Ensemble in dieser Spielzeit auseinander. Zeit ist allgegenwärtig: Sie läuft uns davon, sie zieht sich, wir verlieren sie und hasten ihr hinterher. Der französische Schriftsteller Marcel Proust bemerkte einst:
»Die Zeit, die wir täglich zur Verfügung haben, ist elastisch; unsere eigenen Leidenschaften dehnen sie, die Leidenschaften, die andere für uns empfinden, lassen sie schrumpfen, und die Gewohnheit füllt sie auf.«
In der Produktion »Wo de Tied vergeiht – Vom Vergehen der Zeit« stehen 15 Menschen unterschiedlicher Generationen zwischen 1947 und 2007, die in und um Oldenburg leben, gemeinsam auf der Bühne, um ihre Geschichten zu erzählen. Sie erinnern sich, blicken zurück und in die Zukunft und fragen: Was willst du mit deiner eigenen Zeit anfangen? In der Stückentwicklung verhandelt das Stadt:Ensemble ganz persönliche Lebensfragen, Schicksalsschläge und Sternstunden und macht dabei die alltägliche Parallelität verschiedenster Lebensgeschichten, die sich zeitgleich auf der Welt und in Oldenburg abspielen, sichtbar.
Mattis Janke, FSJler Kultur in der Theatervermittlung am Oldenburgischen Staatstheater in der Spielzeit 2024/25, begleitet die Produktion als Regieassistent. Er sprach mit den Teilnehmenden über ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Vergehen der Zeit – und darüber, welche Fragen sie in der Theaterarbeit besonders beschäftigen.
Annika Müller

Wann in deinem Leben spürst du das Vergehen der Zeit?
Bernd Auf einem 13 stündigen Langstreckenflug – da vergeht sie seeeeehr langsam…
Marlene Die Tage, Wochen, Monate vergehen so schnell. Die Kinder sind erwachsen, die Enkel schon 16 Jahre alt. Jeder Geburtstag kommt so schnell.
Anton Ich spüre das Vergehen der Zeit, wenn ich an Zeit denken muss: Termine, die eingehalten werden müssen, rücken schnell näher, Abgabedaten für Schularbeiten sind plötzlich näher als gedacht. Aber auch wenn ich durch Fotoalben blättere und mich an Vergangenes erinnere.
Norbert Wenn es mir schlecht geht, wenn ich krank bin. Ich brauche heute viel länger, um wieder auf die Beine zu kommen, um wieder fit zu werden. Und ich bin ungeduldiger geworden. Manche Dinge dauern mir heute zu lange.
Haben die letzten Monate und die Proben dein Verhältnis zu Zeit geändert? Wenn ja, wie?
Marlene Durch die intensive Beschäftigung mit der Zeit ist mir mein Alter, sowie die mir noch verbleibende Zeit bewusst geworden. Ich bin jetzt 64 Jahre. Wie viel Zeit verbleibt mir noch? Wie will ich diese Zeit für mich nutzen? Was tut mir gut? Ich habe wieder eine realistische Wahrnehmung der Zeit; nichts ist ewig. Nutze deine Zeit. Sie vergeht so schnell.
Norbert Nein.
Anton Durch die Proben in den letzten Monaten, vergeht die Zeit plötzlich schneller, weil ich mehr zu tun habe. Zudem mache ich mir neue und mehr Gedanken über Vergänglichkeit von Lebensabschnitten, Beziehungen zu Menschen und zum Leben allgemein.
Gila Sie haben vielleicht nicht mein Verhältnis zur Zeit geändert, aber sie haben mir Zeit sehr viel stärker bewusst gemacht. Was ist Zeit eigentlich und wie nehme ich Zeit wahr? Wie lange dauert eine Minute, und existiert Zeit überhaupt? Ist ein Moment kürzer als eine Sekunde? Und was ist eigentlich die Raum-Zeit-Theorie? Interessant war auch zu reflektieren, welche herausragenden politischen und gesellschaftlichen Ereignisse in meinem bisherigen Leben stattgefunden haben, und welche Dinge die jüngeren Teilnehmer: innen unserer Gruppe nur vom Hörensagen – oder überhaupt nicht – kennen.
Bewegst du dich eher durch die Zeit oder durch den Raum?
Bernd Eher auf einer Geraden bzw. Linie mit Kurven.
Anton Oft bewege ich mich durch die Zeit und verpasse dabei, den Raum wahrzunehmen, der mich umgibt.
Gila Ich denke, ohne Raum kann ich Zeit nicht wahrnehmen. Nur durch die Bewegung im Raum, merke ich, dass Zeit vergeht. Selbst wenn ich nur irgendwo sitze, spüre, sehe, höre ich ja Dinge. Wobei es da immer noch das Phänomen der inneren Uhr gibt.
Norbert Ich lebe im Jetzt und im Hier. Wichtig ist der Moment. Das Vergangene hat mich geprägt, hat mich zu dem werden lassen, was ich heute bin. Spielt aber jetzt nur eine untergeordnete Rolle. Auf das Kommende bin ich gespannt und neugierig. Ich lasse es auf mich zukommen und versuche, daraus das Beste für mich zu machen.
Gab es eine Zeit in deinem Leben, in der Zeit keine Rolle gespielt hat?
Bernd Ja – immer, wenn ich eins mit mir war – in einem entspannten Zustand.
Marlene Kindheit und Urlaub.
Anton Zeit spielt oft keine Rolle, wenn man wenig Verantwortung trägt. Als Kind.
Wofür findest du nie genug Zeit?
Bernd Zum Aufräumen.
Marlene Ich kann mir grundsätzlich für alles Zeit nehmen, da ich Rentnerin bin.
Norbert Für meine persönlichen Interessen. Ich war in der Vergangenheit im privaten als auch im beruflichen Umfeld fast immer nur für andere da. Aus eigenem Entschluss, aus Pflichtgefühl oder weil es eben Familie war. Jetzt habe ich das Gefühl, dass mir die Zeit davonrennt. Ich bin immer noch neugierig und möchte Dinge ausprobieren, die ich bisher noch nicht gemacht habe. Aber das Alter setzt mir so langsam physische als auch psychische Grenzen.
Anton Für Zeit für mich alleine ohne dringende Aufgabe, finde ich oft zu wenig Zeit. Auch kann man nicht genug Zeit mit Freunden und Familie verbringen.
Was ist dein Ausgleich um die Endprobenzeit zu überstehen?
Bernd Radfahren, Stadtführungen, Gesellschaftsspiele.
Marlene Sport, Ruhepausen, Natur genießen.
Norbert Ich brauche keinen Ausgleich. Ich mache mit, weil ich es will, weil es mich reizt, weil es mich weiterbringt. Ja, es wird belastend werden. Aber das habe ich mir ausgesucht und akzeptiere es.
Gila Das ist einfach: da ich nicht mehr arbeiten muss, kann ich die Intensität der Endprobenzeit so richtig genießen.
„Ich bin von der Zeit gezeichnet.“ Stimmst du zu? Warum?
Bernd Na ja – klar. Ich habe mehr Falten im Gesicht, habe einen Bauch und spiele kein Basketball mehr…
Norbert Ja, natürlich. Jeder von uns hat eine mehr oder weniger prägende Vergangenheit. Im Guten wie im Schlechten. „Gezeichnet sein“ heißt nicht automatisch etwas Schlechtes. Ich kann auch „ausgezeichnet“ worden sein, die Zeit kann mir auch viel Gutes gebracht haben.
Gila Da sind natürlich ganz klar erstmal die äußeren Zeichen: Haut, Haar, Beweglichkeit. Aber auch im übertragenen Sinn bin ich natürlich gezeichnet, von der Zeit in der ich, als Frau, leben darf. Die Freiheiten und die Möglichkeiten, die ich heutzutage als Frau habe, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, sind mir sehr bewusst.
Anton Meine Persönlichkeit und Einstellung zu Situationen basiert zu großem Teil auf meinen Erlebnissen. Identifikation und Orientierung sind Folge von Höhen und Tiefen, Fehlern und Glück.
Marlene Im Laufe der Zeit habe ich viel Lebenserfahrung gesammelt. Ich bin ausgeglichener und weniger stressanfällig. Negativ hat mich die Zeit natürlich durch körperlichen Verschleiß gezeichnet.
Die Fragen stellte Mattis Janke
WO DE TIED VERGEIHT – VOM VERGEHEN DER ZEIT
Premiere: Samstag 30.3. | 18:30 Uhr | Kleines Haus
Weitere Vorstellungen: 6.4., 13.4., 29.4., 3.5., 25.5., 7.6., 15.6., 22.6.
Regie Hanna Puka
Bühne und Kostüme Anai Dittrich
Musik Jens Marnowsky
Licht Arne Waldl
Dramaturgie Annika Müller
Regieassistenz Mattis Janke
Veröffentlicht: Oldenburgisches Staatstheater. Theaterzeitung. März 2024/25. (01.03.2025).