Ein Plädoyer fürs Briefeschreiben 

Ein neues Kalenderjahr ist angebrochen und damit die Zeit der guten Vorsätze, die man sich still und heimlich oder auch laut und fordernd setzt. Ob sie gehalten oder verworfen werden, steht jetzt noch in den Sternen. Auch wenn ich nicht von dem Konzept der »guten Vorsätze« überzeugt bin – nicht, weil ich nichts von Ambitionen, Zielen oder Selbstoptimierung halte, sondern weil man sich gute Vorsätze in jedem Jahr zu jeder Zeit setzen kann – will ich einen Vorschlag in den Raum stellen: In diesem Jahr wieder mehr Briefe zu schreiben. Denn meiner Meinung nach fristet der private Brief, der seit der Antike ein essenzieller Teil der Schreibkultur ist, heutzutage immer mehr ein Schattendasein. 

Heute gibt es für den privaten Austausch Smartphones, Mails, Videoanrufe. Dauerhafte Erreichbarkeit ist gewährleistet und soll es auch sein. Immer, überall, kostengünstig und schnell wollen wir unsere Mitmenschen erreichen. Effektiv und flüchtig bleiben wir in Kontakt mit anderen. Vielleicht fasziniert mich auch deshalb die Form des Briefes.

Denn ohne Briefe, hätten meine Eltern und Großeltern und Urgroßeltern und viele Generationen davor ihre Beziehungen über weite Distanz nicht aufrechterhalten können und hätten vielleicht andere Lebenswege eingeschlagen. Der Austausch von Wissen über Landesgrenzen hinweg hätte ohne Briefe nicht stattfinden können. Wissenschaftliche Entdeckungen wie die von Isaac Newton oder Charles Darwin wurden oft in Briefen dokumentiert und diskutiert. Soldaten im Krieg schrieben an ihre Familien und hielten so die Verbindung nach Hause, ohne diese Möglichkeit des Austauschs wären oft Trost und Hoffnung ausgeblieben.

Der Brief liegt in seiner Form zwischen Monolog, Gespräch, Alltagskommunikation, Literatur, Kulturkritik und philosophischer Reflexion. Außerdem ist er ein emanzipatorisches Medium: Im 18. Jahrhundert begann der Brief für Frauen als Möglichkeit der Kommunikation sowie Diskursteilnahme zugänglich zu werden und veränderte ihre Lebensrealität nachhaltig. Infolge der Alphabetisierung breiter Bevölkerungsschichten in Mitteleuropa im 18. Jahrhundert und dem Bestreben nach weiblicher Bildung entwickelte sich eine starke weiblich geprägte Briefkultur. Weil das Medium Brief Freiraum für Selbstbestimmung und Selbstreflektion in sich vereint, war es eine Errungenschaft und ein Gewinn für die weibliche Emanzipation. So singen auch die Figuren in der musikalischen Komödie »Stolz und Vorurteil* (*oder so)« von Isobel McArthur nach Jane Austen über das Schreiben und lesen ihre Briefe an ihre Schwestern, um ihr Liebesleben und die schwierigen Beziehungsgeflechte zu besprechen. 

Worauf ich hinaus will? Briefe sind bleibend – selbst heute noch stößt man in Archiven oder auf Dachböden auf alte Briefe, die Einblicke in vergangene Zeiten gewähren. Ohne sie wären viele Details des Alltags und der Gedankenwelt vergangener Generationen verloren. Daher mein Plädoyer, trotz steigender Portopreise und fehlender Zeit im Alltagsstress: Schreibt doch mal wieder einen Brief. Nehmt euch Zeit, Worte zu wählen, die bleiben. Denn einen schönen Brief zu bekommen, macht glücklich und vielleicht landet euer Brief eines Tages auf einem Dachboden und erzählt noch in Jahrzehnten eine Geschichte, die kein Chatverlauf jemals bewahren könnte.

Veröffentlicht: Oldenburgisches Staatstheater. Theaterzeitung. Januar 2024/25. (04.01.2025)

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