Theater als Spiegel unserer Beziehung zur Natur
Die desaströse Schieflage eines zunehmend instabilen Klimas, in die sich die Menschheit hineinmanövriert hat, ist spürbar auf der ganzen Welt: Unkontrollierbare Waldbrände, historische Hitzewellen und tödliche Überschwemmungen zeigen die erschütternden Folgen. Die Natur schlägt zurück – und mit ihr wächst der Zorn vieler Menschen, die sich ihrer verletzlichen Beziehung zur Umwelt noch bewusst sind. Sie sind wütend über ein Gesellschaftssystem, das auf einer grenzen- und rücksichtslosen Ausbeutung der Natur basiert. Andere resignieren vor der akuten Bedrohung ihrer eigenen Lebensgrundlage und der Ohnmacht des Individuums.
Über Jahrhunderte hinweg hat der Mensch seine Identität im Spannungsfeld zwischen Natur und Kultur gefunden. Mitunter wurde die Kultur als Fortsetzung der Natur verstanden, dann wieder als ihr Gegenpol und Mittel, um sie zu beherrschen. Doch in jedem Fall war der Mensch stets Teil beider Welten – der natürlichen ebenso wie der kulturellen.
Das Theater sieht sich in diesen Tagen mit neuen und alten Fragen konfrontiert: Wie treten wir der Resignation im Angesicht der Klimakatastrophe entgegen? Wie kann man Aktivismus auf der Bühne zeigen und auch in seinen eigenen Strukturen vorleben? Wie stellen wir aus unserer menschlichen Sicht Empathie für unsere Umwelt auf der Bühne dar? Wie rückt man den Menschen aus dem Zentrum der Erzählung?
Wo die Grenzen der Darstellbarkeit liegen, muss das Theater in jeder Inszenierung neu verhandeln, doch die Natur als Akteur auf der Bühne zu zeigen, ist schwieriger und – im Angesicht der Weltgeschehnisse – aktueller denn je. Wie viel darf man der Natur von unseren Empfindungen und Gedanken überstülpen?
Auch in Oldenburg – einer grünen Stadt mit den Bornhorster Wiesen, der Wallheckenlandschaft und der Haarenniederung – beschäftigt die Theatermachenden diese Problematik. In der Spielzeit 24/25 versucht sich das Theater, diesen und weiteren Fragen zu nähern. In der Uraufführung des Stücks Wald von Miriam V. Lesch am 28.09., erheben sich Stimmen von Bäumen, Pilzen und Tieren, die nach einem bestärkten „Wir“ rufen. Ein politisch-ökologischer Körper, der sich als symbiotisch-kooperativer Akteur versteht und dabei aus dem Hintergrund in die absolute Sichtbarkeit rückt. Der Wald beginnt, sich die Welt zurückzuerobern, und Buche, Steinpilz, Fichte, Butterpilz, Birke und Röhrling stehen dafür auf der Bühne und zersetzen, zerkleinern, filtern und transportieren. Sie erzählen den Zuschauenden die komplexen Abläufe, die in ihnen vorgehen, Tag für Tag und Minute für Minute.
Und auch wenn wir auf der Bühne die Bedürfnisse der Natur lediglich thematisieren können, gibt dies dennoch Denkanstöße, sich zu fragen: Was würde meine Topfpflanze wollen? Würde sie wollen, dass ich sie regelmäßig gieße? Würde sie einen Platz im Garten fordern? Oder würde sie gleich die Entsiegelung der Straße neben dem Garten verlangen, um ungestört wachsen zu können? Es ist sinnvoll, sich diesen Fragen zu stellen, wenn Kultur und Natur ein gemeinsames Bild zeichnen sollen, und wir uns – wenn auch nur um einen Schritt – der Natur annähern und für ihre Bedürfnisse sensibilisieren wollen.
Veröffentlicht: Oldenburgisches Staatstheater. Theaterzeitung. September 2024/25. (06.09.2024).