Ein Interview mit Katharina Shakina über die Produktion »burnbabyburn«
Herbst 1430. Seit acht Jahrzehnten tobt in Europa ein erbitterter Krieg.
Zwei Drittel Frankreichs sind von den Engländern besetzt. In zwei blutigen Feldzügen führt ein siebzehnjähriges Mädchen Frankreich unter ihrer Fahne in einen verzweifelten Versuch, sich gegen die Besatzer zu wehren.
Die Geschichte von Johanna von Orléans ist legendär: Als Heldin und Retterin Frankreichs gefeiert, endete ihr Leben brutal – verurteilt als Ketzerin und Hexe, verbrannt auf dem Scheiterhaufen.
Nach einer Zeit, in der sie fast in Vergessenheit geriet, kehrte sie im 18. Jahrhundert ins kulturelle Gedächtnis zurück. Doch Johanna war nie nur eine historische Figur: Zu Lebzeiten instrumentalisiert von der Kirche und den königlichen Mächten, wurde sie später zur ideologischen Projektionsfläche. In der Moderne wird sie von unterschiedlichsten Gruppen zur Symbolfigur, zu einem Mythos gemacht. Die Tradierung ihrer Geschichte, wie auch die literarischen und kulturellen Interpretationen, wurden dabei größtenteils von Männern geschrieben.
Doch wie wird eine politische Figur zum Mythos – und letztlich zum politischen Werkzeug?
In einer Welt, die sich lange als „postheroisch“ verstand, erleben autoritäre und gewalttätige Bewegungen heute einen Aufwind. „Starke“ männliche Führerfiguren erfahren neue Heldenverehrung. Das wirft Fragen auf: Wie wird Heldentum heute konstruiert? Johanna wird zur Linse, durch die wir die Schaffung und Dekonstruktion von Heldenbildern, die Notwendigkeit von Widerstand und den Umgang mit globaler Machtpolitik beleuchten. Das Team um Katja Gaudard und Katharina Shakina fragt: Wie schaffen wir in Akzeptanz globaler Abhängigkeiten ein Feld, auf dem soziale, politische Veränderungen möglich werden können, ohne Reproduktion von patriachalem heroischem Pathos und Gewalt? Und was bedeutet Scheitern in diesem Zusammenhang?
Wer Johanna wirklich war, bleibt ein Geheimnis. In »burnbabyburn« von Katharina Shakina und dem crtcl collective wird die Figur und ihre Erzählung mit einer multimedialen Theaterperformance gefeiert und neu verhandelt. Eine fiktive Johanna greift selbst nach den Rollen ihres Dramas. Sie hinterfragt Perspektiven, reflektiert ihre Narrative und schafft durch neue Geschichten ihre eigene Deutungshoheit.
Die Schauspielerin und Performerin Katharina Shakina aus dem Ensemble des Oldenburgischen Staatstheaters nimmt sich auf der Bühne dieser Johanna an:
Annika: Du hast dich im Rahmen der Neustart Kultur-Förderung mit dem Thema »Scheitern« auseinandergesetzt. Was bedeutet Scheitern für dich?
Katharina: Generell – eine Chance, etwas Neues herauszufinden.
In der Kunst zu scheitern ist etwas anderes, als im Leben und vor allem am Leben zu scheitern.
Über das eigene, als schmerzlich und beschämend empfundene kleine und große Scheitern, sprechen wir nicht gern. Versagen, Misslingen, Fehlschläge und Niederlagen haben in unserer heutigen Gesellschaft, die von Erfolg und Fortschritt bewegt und getrieben wird, kaum einen Platz – es ist „Das große Tabu der Moderne“.
Hingegen sind Kunst und Scheitern nicht getrennt voneinander zu denken:
Kunst entsteht aus dem Scheitern. Man muss Dinge ausprobieren. Man kann nicht herumsitzen, fürchten, etwas falsch zu machen und sagen „Wenn ich etwas erschaffe, dann gleich ein Meisterwerk“.
Ich denke, etwas Neues und Anderes kann nur entstehen, wenn die erhöhte Gefahr des Scheiterns in Kauf genommen wird.
So lange wie das Scheitern die Möglichkeit einer Wiederholung, eines neuen Anfangs in sich birgt, können wir auch noch im Scheitern versuchen, uns selbst als glückliche Menschen vorzustellen. Wenn wir keine Fehler machen würden, wüssten wir nicht, wie es besser geht.
Annika: Deine Auseinandersetzung überträgst du auf den Mythos um Johanna von Orléans. Was fasziniert dich an dieser Figur bzw. dieser Erzählung? Siehst du darin eine gewisse Aktualität?
Katharina: Wenn man sich unsere aktuelle Welt so anschaut, kann man vermutlich sagen, dass so einiges darin gescheitert ist. Wie können wir daraus jetzt etwas Positives ableiten? Durch die Kunst versuchen wir, das besser zu verstehen.
Die Welt von Johanna von Orléans ist durchtränkt von Grausamkeiten, wir befinden uns im Hundertjährigen Krieg. Man muss sich mal vorstellen, was das bedeutet… der Welt geht es schlecht, sie ist gescheitert und dann taucht da dieses Mädchen auf, das nicht die Augen zu macht, das sich nicht verkriecht. Trotz der gescheiterten Lage und der Ungewissheit, wird es aktiv und handelt, rettet alle und gibt wieder Hoffnung.
Dann wird sie nicht mehr gebraucht und als Hexe stigmatisiert, aber viele Jahrhunderte später dann doch heiliggesprochen.
Später folgten verschiedenste künstlerische Auseinandersetzungen mit der Figur: Schiller mit seinem Drama gleichen Titels; Brecht, der dem Stück eine andere Rahmung gab, sowie zahlreiche Künstler:innen, die Johanna bildnerisch dargestellt oder Statuen geschaffen haben. Heute werden diese Darstellungen in Frankreich als nationale Symbole vom Rassemblement National missbraucht – wir drehen uns irgendwie im Kreis.
Was ist passiert in dieser Zeit? Je nachdem, zu welchem Zweck die Erzählung dient, wird sie angepasst. Das ist schön und gefährlich.
Ich hoffe, dass die Chance dieses Sich-im-Kreis-drehens darin besteht, Qualitäten wie Tapferkeit, Konsequenz und Reflexion hervorzubringen.
Annika: Du stehst in der Produktion alleine auf der Bühne, arbeitest allerdings mit Audio- und Videomaterial von dir, vielleicht kann man auch sagen, einer vergangenen Version von dir. Was bedeutet es für dich, so mit dir selbst in Kontakt zu treten und zu spielen?
Katharina: Es gibt zwei Funktionen, von mir alleine die Geschichte auf den verschiedenen Ebenen erzählen zu lassen: 1) Ein Mensch besteht aus vielen Farben, vielen Perspektiven – der Vater in mir, der König in mir, der Pfarrer in mir, usw. Quasi ›die Stimmen‹ in meinem Kopf – diesen allen ein explizites Gesicht zu geben, ist ein Versuch (der vielleicht auch zum Scheitern verurteilt ist).
2) Meinem vergangenen Ich zu begegnen, ist auch der Versuch eine bestimmte Wahrnehmung zu erinnern und zu reflektieren. Wie wir etwas wahrnehmen und wie wir etwas erinnern, prägt unsere Gegenwart und wirft immer neue Bilder auf uns als Person – so auch unsere Hauptfigur.
Ich finde es sehr interessant, über diese Form der Erinnerungen immer wieder neue Erkenntnisse über unsere Wahrnehmung zu gewinnen.
Indem wir in der Gegenwart mit dieser Form spielen, schaffen wir neue Erfahrungen und ebnen so den Weg für ein zukünftiges Spiel, bei dem man dann die bereits vergangenen Erfahrungen wieder neu einflechten kann – es wird nie langweilig.
Annika: Die Inszenierung »burnbabyburn« ist deine Eigenproduktion, was sind für dich Vorteile oder Herausforderungen an einer eigenen Arbeit?
Katharina: Yes! Die Vorteile sind, dass ich so viel lernen durfte und darf – von und mit meinem wunderbaren Team aus Freund:innen . Ich merke, dass auf diesem Boden von Verbindungen ein nochmal intensiveres Vertrauen wächst und dadurch ein neues, gemeinsames Weiterdenken stattfinden kann.
Herausfordernd ist definitiv das Zeitmanagement zu meiner eigentlichen Verpflichtung als Ensemblemitglied. Aber ich merke auch, dass es eine Chance gibt, wie beide Bereiche einander bereichern.
Premiere: 17.12.2024
Weitere Aufführungstermine: 19.12.24, 4.1.25, 7.1.25, 9.1.25, 12.1.25
Die Fragen stellte Annika Müller
Veröffentlicht: Oldenburgisches Staatstheater. Theaterzeitung. Dezember 2024/25. (06.12.2025).