Fragen an Ferdinand Schmalz
Annika: Du hast bereits eine ganze Reihe an Theaterstücken geschrieben. Mit Mein Lieblingstier heißt Winter hast du deinen Debütroman veröffentlicht. Was macht für dich als Autor den Unterschied aus, nicht für die Bühne zu schreiben, sondern ein anderes literarisches Genre zu bedienen?
Ferdinand: Ich würde sagen, meine Prosa unterscheidet sich nicht ganz grundsätzlich von meinen Theatertexten. Der Roman zielt auch auf das gesprochene Wort ab allein durch die Rhythmisierung und die eigene Sprachmelodie, die ja nicht unverwandt ist zu meinen dramatischen Texten. Trotzdem hab ich gemerkt, dass die Arbeitsweise eine grundlegend andere ist. In der Prosa hat man einen anderen Spannungsbogen. Was ich selbst schätze an Prosatexten ist, dass sie viel ausufernder sein können als beispielsweise ein Theaterstück, das ja doch immer auf ein paar Grundsituationen und -konflikten beruht. Da kann ein Roman weit mehr ändern, da kann man sich in Details verlieren, Binnenhandlungen aufmachen, Nebenfiguren mal ins Zentrum stellen. Diese Möglichkeiten in der Prosa nochmal weiter auszuscheren hab ich in der Schreibarbeit sehr genossen, vor allem dass man der Dingwelt mal einen größeren Raum geben kann um manchmal wie mit einem Mikroskop an manche Details ranzuzoomen. Solche Beschreibungen sind im Schauspiel oft eher hinderlich, da will man ja auch manches schauen, wie der Name schon sagt, und nicht nur beschrieben kriegen.
Annika: Bei der Entstehung der Inszenierung stand die Frage nach Rolle und Einfluss der Erzählinstanz wiederholt im Raum. Das Regieteam hat sich dafür entschieden, die Erzählinstanz in dem Stück zu personifizieren. Was ist deine Vorstellung von dem Machtverhältnis zwischen der Erzählinstanz und den Figuren?
Ferdinand: Es gab diesen Moment im Schreibprozess, an dem ich auch überlegt hatte, ob ich der Erzählstimme eine Figur zuordnen soll, ob das irgendeine unscheinbare Randfigur, wie Gitti aus Gitti’s Eck ist, die als Barfrau natürlich den auktorialen Überblick über das ganz Geschehen hätte. Mir ging es in dem Roman, aber nochmal stärker als in den Theaterstücken um ein extrem bildhaftes Erzählen. Die auktoriale Erzählstimme funktioniert da vielleicht eher wie der Blick einer Kamera. Es gibt, finde ich, in der österreichischen Literatur diese Tradition einer feinen Blickregie, wie bei Ilse Aichinger, oder Elfriede Jelinek oder auch Josef Winkler, die ähnlich dem Aufbau von Kameraeinstellungen, den imaginären Blick der LeserInnen lenkt von Close Ups über halb Totale und Total bis hin zu wimmelbildartigen Panoramen. Hätte ich gesagt ich binde die Stimme an eine konkrete Figur, hätte diese Perspektive natürlich etwas eingebüßt, weil dann Fragen auftauchen, wie kann sie das so detailliert bildlich beschreiben. Trotzdem gibt es diese Momente in der Erzählung, wo die Figuren einen leichten Anflug von Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie „bloß“ Figuren in einer größeren Geschichte sind, wo sie diesen Blick von außen spüren. Ich finde das zählt zu den spannendsten Fragen, des Schreibens, und speziell des Schreibens fürs Theater, was das denn eigentlich ist eine Figur. Wie geht das, dass diese Rollen immer wieder aus dem toten Papier auferstehen, und auf der Bühne zum Leben erwachen. Schlüpfen SchauspielerInnen in Figuren oder umgekehrt? Dieses quasi-subjethafte an Figuren interessiert mich.
Annika: Würdest du sagen, die Realität erschafft die Erzählung oder die Erzählinstanz erschafft und beeinflusst die Realität?
Ferdinand: Das Problem ist, dass die Wirklichkeit uns immer nur vermittelt erreicht. Das Reale, die sogenannte Außenwelt, nehmen wir immer nur über unsere Sinne wahr und die sind nun mal immer schon gesellschaftlich geschult, das heißt wir greifen unbewusst auf Seh- und Hör- auf Tast- und Riechmuster zurück denen narrative Strukturen zu Grunde liegen. Wirklichkeit entsteht immer erst in Gemeinschaft, im Austausch mit anderen. Und doch lässt sich das Reale nie ganz in diese „Erzählung“ der Wirklichkeit einfügen. Was bleibt ist ein Rest, der sich nie ganz in diese narrativen Muster überführen lässt. Es gibt diese Erzählung von Franz Kafka, „der Bau“, da versucht ein nicht näher definiertes Tierwesen den perfekten Bau zu konstruieren. Es verstopft den Eingang mit Moospolstern, macht alles dicht, aber als es fertig ist hört es ein seltsames Zischen, als müsste irgendwo ein Loch, ein feiner Riss sein, durch den die Luft von draußen strömt, dem es wie manisch auf den Grund gehen will. An diesem Punkt bricht die Erzählung ab. Die Aufgabe einer Kunst die sich der Wirklichkeit verschreibt muss es sein diese Bruchstellen zum Klingen zu bringen. Unsere Seh- und Sprechgewohnheiten destabilisieren, uns klarzumachen, dass wenn wir sehen wir immer mit den Augen anderer sehen, dass wenn wir sprechen, immer mit den Stimmen der Toten sprechen, dass wenn wir denken, immer mit den Hirnen der Anderen denken, damit man vielleicht, da in der künstlichsten Ecke der Kunst, da im Theater hinter Vorhängen und Kulissen, unter zentimeterdicker Schminke und unter Bergen von Requisiten doch einen flüchtigen Blick auf das Reale erhaschen kann. In Riekes Inszenierung von „Oxytocin Baby“ am Wiener Schauspielhaus gibt es einen Moment, in dem man als ZuseherIn, nachdem man über eine Stunde das hyperartifiziell „Puppenspiel“ durch mehrere Passepartouts beobachtet hat, plötzlich einen Blick in die Unterbühne, auf die Podeste der SpielerInnen wirft, in diesem Moment begleitet von einem dröhnenden Rauschen, stellt sich so etwas wie ein Horror des Realen ein.
In deinem Roman beleuchtest du das Verhältnis zum Sterben aus verschiedenen Blickwinkeln. So sind auch der Klimawandel und die Konservierung des Lebens ein Thema.
Annika: Was würdest du sagen, wie sieht die Zukunft der Menschheit aus?
Ferdinand: Wenn man wie vor kurzem in der Zeitung liest, dass die heute Geborenen eine Lebenserwartung von ca. hundert Jahren haben werden, während in vielen Regionen der Welt die Lebenserwartung seit Jahren stagniert, dann zeichnet sich ein erschreckender Trend ab. Das ewige, oder zumindest überdurchschnittlich lange Leben hängt von der Frage ab, wer es sich leisten kann. Wenn man überlegt, welchen Bedeutungswandel der Tod in den letzten hundert Jahren durchgemacht hat, wird diese Entwicklung auch die nächsten hundert Jahre nicht halt machen. Vieles hängt, denke ich, davon ab, ob wir den Posthumanismus als ein demokratisches Projekt begreifen oder als eine Rakete in der nur für ein Paar wenige selbsternannte Visionäre ein Sitzplatz reserviert ist. Was jedoch die Geschichte gezeigt hat, dass immer dann, wenn wir gedacht haben, wir hätten den Tod erfolgreich aus unseren vitalen Leben verdrängt, er doch immer wieder in monströser Form zurückgekehrt ist.
Veröffentlicht: Schauspiel Frankfurt. Programmheft zu »Mein Lieblingstier heißt Winter«. (2023).