Ein Lebenskonzept jenseits des Wachstumsdogmas
Höher, schneller, weiter und vor allem: Mehr, mehr, mehr! Mehr produzieren, konsumieren und mehr Wirtschaftswachstum. Dabei müssten wir längst verstanden haben, dass Konsum und Produktion nicht einfach so weitergehen können, wenn wir die endlichen Ressourcen des Planeten nicht weiter strapazieren wollen. Die unerreichten Klimaziele sprechen für sich.
Auch vor Oldenburg macht der Klimawandel nicht halt und bereits 2019 titelte die NWZ: »US-Forscher errechnen für Oldenburg Überflutungen im Jahr 2050.« Dies würde allerdings, dank der Sperrwerke und Deiche, nicht eintreten. Deiche, die zum Küstenschutz an der deutschen Nordseeküste bereits seit dem Mittelalter errichtet werden, um die Bevölkerung vor Sturmfluten zu schützen. So kann man in Dangast auf dem Deich die Flutsteine sehen, die die Pegelstände des Wassers markieren, das in den letzten Jahrhunderten den Deich erreicht hat. Sie erinnern an Stürme von 1717, 1825, 1855, 1906, 1962 und 2006. Der Stein von 1962 trägt eine Höhenmarke von 5,22 Meter. Es ist nicht zu bestreiten: Der Meeresspiegel steigt. Und selbst wenn sich das Wind- und Wellen-Klima nicht signifikant ändern sollte, werden die Sturmfluten durch den erhöhten Meeresspiegel mit größerer Intensität auf die Küsten treffen.
Das Regieteam um Milena Paulovics widmet sich in der Inszenierung »Schimmelreiter« am Oldenburgischen Staatstheater eben dieser Thematik. In der 1888 veröffentlichten Novelle Theodor Storms ist das Wasser längst da – so wie bei uns auch. In der Inszenierung geht es um den Mikrokosmos eines norddeutschen Dorfes, seine Gruppendynamiken, Beziehungsgeflechte und eine Liebesgeschichte. Gleichermaßen aber auch um die menschliche Hybris, die Natur beherrschen zu wollen, und eine Klimakrise, die längst da ist.
Wie es anders laufen kann? Auf die Frage, was man dem unendlichen Wachstum entgegensetzen kann, würde ich mit dem Konzept des Buen Vivir oder auch Sumak Kawsay antworten: Während in vielen westlichen Gesellschaften wirtschaftliches Wachstum und individueller Erfolg als Maßstab für ein gelungenes Leben gelten, stellt das Konzept des Buen Vivir eine radikale Alternative dar. Ursprünglich aus den indigenen Kulturen Südamerikas stammend, beschreibt es ein harmonisches Zusammenleben zwischen Menschen, Gemeinschaft und Natur. Dabei geht es nicht um ein rein materielles Wohlstandsideal, sondern um ein gutes Leben im umfassenden Sinne – geprägt von sozialer Gerechtigkeit, nachhaltiger Entwicklung und einem respektvollen Umgang mit der Umwelt. Einen großen Schritt machte das Land Ecuador als es im Jahr 2008 Grundelemente des Buen Vivir in seine Verfassung aufnahm:
»Wir, das souveräne Volk Ecuadors in Anerkennung unserer jahrtausendealten, von Männern und Frauen verschiedener Völker gestärkten Wurzeln, feiern wir die Natur, die Mutter Erde, deren Teil wir sind und die für unser Dasein lebenswichtig ist, rufen wir den Namen Gottes an und erkennen unsere unterschiedlichen Formen der Religiosität und Spiritualität an, appellieren an die Weisheit aller Kulturen, die uns als Gesellschaft bereichern, und beschließen, […] mit unserem starken Engagement für die Gegenwart und Zukunft, eine neue Form des Zusammenlebens der Bürger und Bürgerinnen in Vielfalt und Harmonie mit der Natur aufzubauen, um das Gute Leben, das Sumak Kawsay, zu erreichen […].«
Vielleicht ist es genau das, was wir und die Natur gerade brauchen? Ein bisschen mehr Buen Vivir für alle?
DER SCHIMMELREITER
Schauspiel nach Theodor Storm
PREMIERE: Samstag, 1.3. | 19:30 Uhr | Großes Haus
Einführungssoirée und Probenbesuch: 20.2. | 18:00 Uhr | Hauptfoyer
Vorstellungen: 8.3., 14.3., 16.3., 21.3.
Regie: Milena Paulovics | Bühne und Kostüme: Pascale Arndtz | Musik: Michael Rodach | Video: Marc Lontzek | Dramaturgie: Reinar Ortmann
Mit: Esther Berkel, Gerrit Frers, Julia Friede, Konstantin Gries, Klaas Schramm, Caroline Nagel, Andreas Spaniol, Tobias Schormann, Tamara Theisen, Darios Vaysi
Veröffentlicht: Oldenburgisches Staatstheater. Theaterzeitung. März 2024/25. (01.03.2025).
